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„Teil-Impfpflicht“ – Beschäftigungsverbot für Arbeitnehmer ab 16. März 2022?

Ab Mitte März 2022 greift in Deutschland die sogenannte „Teil-Impfpflicht“ für Einrichtungen oder Unternehmen aus dem Gesundheitswesen. Welche Beschäftigten sind von der Regelung betroffen und was genau ist Inhalt der „Teil-Impfpflicht“? Vor allem interessiert die Frage, ob sich das Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot auch auf Bestandsmitarbeiter bezieht. Diesen Fragen geht der vorliegende Beitrag nach und gibt den aktuellen Stand der juristischen Diskussion wieder.

Das gesetzgeberische Ziel von § 20a Infektionsschutzgesetz

§ 20a Infektionsschutzgesetz bezieht sich auf Personen (und nicht nur Beschäftigte), die ab dem 15. März 2022 in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen der Gesundheitsbranche tätig werden wollen. Zu den Einrichtungen zählen unter anderem Krankenhäuser, Tageskliniken, Arzt- und Zahnarztpraxen oder stationäre Einrichtungen zur Betreuung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen. Personen, die ab Mitte März 2022 in diesen Einrichtungen tätig werden wollen, müssen entweder geimpfte oder genesene Personen im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung sein.

Hintergrund der Regelung ist ausweislich der Gesetzesbegründung, dass für bestimmte Personengruppen aufgrund ihres Gesundheitszustandes oder ihres Alters ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID-19-Krankheitsverlauf bestehe. Insbesondere in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen komme es seit Ausbruch der Pandemie aber immer wieder zu Coronavirus-Ausbrüchen mit zum Teil sehr hohen Todesfallzahlen.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass dem Personal in Gesundheitsberufen eine besondere Verantwortung zukomme, da ein intensiver Kontakt zu Personengruppen bestehe, die ein hohes Risiko für einen schweren und tödlichen COVID-19-Krankheitsverlauf haben. Ein verlässlicher Schutz, so der Gesetzgeber, lasse sich nur durch eine hohe Impfquote beim Personal in diesen Berufen erreichen. Dadurch werde das Risiko gesenkt, dass sich die besonders gefährdeten (vulnerablen) Personengruppen mit dem Coronavirus infizieren. Denn geimpfte und genesene Personen werden seltener infiziert und somit auch seltener zu Überträgern des Coronavirus.

Insgesamt sei das Risiko, das von Geimpften und Genesenen ausgehe, deutlich geringer, so die Annahme.

„Teil-Impfpflicht“ in Wahrheit eine Nachweispflicht

Bevor wir auf die rechtlichen Auswirkungen von § 20a Infektionsschutzgesetz zu sprechen kommen, sehen wir uns in der Pflicht, ein weit verbreitetes Missverständnis auszuräumen. Die sogenannten „Teil-Impfpflicht“ ist in Wahrheit keine Impfpflicht. An keiner Stelle in § 20a Infektionsschutzgesetz wird den entsprechenden Personen und Beschäftigten die Pflicht auferlegt, sich impfen zu lassen.

Das Gesetz schreibt in § 20a Abs. 2 Infektionsschutzgesetz lediglich vor, dass Personen, die in den genannten Einrichtungen tätig sind, der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens bis zum Ablauf des 15. März 2022 alternativ folgende Nachweise vorzulegen haben:

  • Einen gültigen Impfnachweis gemäß der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung
  • Einen Genesenennachweis im Sinne der Verordnung
  • Ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus geimpft werden können

Beschäftigungsverbot für neue Mitarbeiter ab Mitte März 2022

Wenn ein entsprechender Nachweis bis zum 15. März 2022 nicht vorgelegt wird, besteht aufseiten der Einrichtung die Pflicht, unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt zu informieren. Hierzu darf die Einrichtung auch personenenbezogene Daten von Personen (einschließlich der Beschäftigten) übermitteln. Das Gesundheitsamt kann dann den Impf- oder Genesenennachweis anfordern. Kommt die Person dieser Anforderung nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach, so kann das Gesundheitsamt ein Zutritts- oder Tätigkeitsverbot aussprechen.

Dann gibt es im Infektionsschutzgesetz noch eine weitere Regelung, die unabhängig von einer Anordnung des Gesundheitsamtes gilt: Für Personen, die ab dem 16. März 2022 in den jeweiligen Einrichtungen „tätig werden sollen“, gilt die Nachweispflicht gegenüber der Einrichtungsleitung ebenfalls. Wenn diese Personen keinen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen, so dürfen sie in den Einrichtungen von vornherein weder beschäftigt noch tätig werden. Auf eine entsprechende Untersagungsanordnung kommt es hier also gar nicht an.

Offenbar differenziert der Gesetzgeber bei den Rechtsfolgen also zwischen Personen, die bereits in den Einrichtungen tätig sind und solchen, die ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen. Während bei Bestandsmitarbeitern eine Meldung an das zuständige Gesundheitsamt erfolgt und das Gesundheitsamt daraufhin die Möglichkeit hat, ein Zutritts- und Tätigkeitsverbot zu verhängen, dürften neue Mitarbeiter ab dem 16. März 2022 erst gar nicht beschäftigt oder tätig werden.

Doch ist das wirklich so?

Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot auch für Bestandsmitarbeiter?

Das Bundesministerium für Gesundheit geht eindeutig davon aus. In der „Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten“ beantwortet es die Frage, „welche Schritte einzuleiten (sind), wenn ein Nachweis nicht vorgelegt wird“. Und hierbei differenziert es tatsächlich zwischen bestehenden und neuen Mitarbeitern:

  • Wenn Bestandsmitarbeiter bis zum 15. März 2022 keinen Nachweis vorlegen, muss danach die Leitung uverzüglich das zuständige Gesundheitsamt benachrichten. Das Gesundheitsamt untersucht sodann den Fall und fordert die Vorlage der Nachweise. Wenn ein Arbeitnehmer bis zum 15. März 2022 kein Nachweis vorgelegt, kann das Gesundheitsamt gegenüber der betroffenen Person ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot aussprechen und ein Bußgeldverfahren einleiten.

  • Demgegenüber dürfen Mitarbeiter, die nach dem 16. März 2022 in den jeweiligen Einrichtungen eine Tätigkeit aufnehmen wollen, erst gar nicht beschäftigt oder tätig werden.

Wer denkt, dass damit nun alles geklärt sei, sieht sich getäuscht. Denn dieser Fragenkatalog gibt nur die Lesart des Bundesministeriums hinsichtlich § 20a Infektionsschutzgesetzes wieder. Diese Auslegung muss weder dem gesetzgeberischen Willen entsprechen noch sind die Arbeitsgerichte an die Auffassung des Bundesministeriums gebunden. Daran ändert auch nichts, dass das Bundesministerium diese Handreichung mit den Ressorts der Bundesregierung und den Ländern auf Fachebene abgestimmt hat.

Das eigentliche Problem ist der missverständliche Wortlaut von § 20a Abs. 3 Satz 4 und 5 Infektionsschutzgesetz. Dieser bezieht sich auf Personen, die „ab dem 16.März 2022 tätig werden sollen“. Das Problem besteht darin, dass ab dem 16. März 2022 auch Bestandsmitarbeiter „tätig werden sollen“. Denn sie müssen ihre Arbeitspflicht weiterhin erfüllen. Insofern bestehen also Fragezeichen dahingehend, ob das (gesetzliche) Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot sich tatsächlich nur auf neue Mitarbeiter bezieht.

Das Wortlautproblem des § 20a Infektionsschutzgesetz

Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich „nur“ um ein Wortlautproblem, denn in der Gesetzesbegründung steht:

Absatz 3 regelt das Verfahren für Personen, die in den genannten Einrichtungen ab dem 16. März 2022 neu tätig
werden wollen. Personen, die in den genannten Einrichtungen oder Unternehmen ab dem 16. März 2022 tätig
werden sollen, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens vor Beginn ihrer
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 41 – Drucksache 20/188 Tätigkeit einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 (Impf- oder Genesenennachweis, ärztliches Zeugnis) vorzulegen.

Gesetzesentwurf vom 06.12.2021 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19, Drucksache 20/100, B. Besonderer Teil, Seite 40, Zu § 20a, Zu Absatz 3

Die Gesetzesbegründung stützt also ganz eindeutig die Interpretation des Bundesministeriums. Das gleiche Verständnis scheint auch das Bundsverfassungsgericht zu haben, als es sich kürzlich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfassungsmäßigkeit von § 20a Infektionsschutzgesetz positionierte.

Personen, die erst ab dem 16. März 2022 in den genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig werden sollen, haben vor Beginn ihrer Tätigkeit einen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorzulegen (vgl. § 20a Abs. 3 Satz 1 IfSG). Andernfalls dürfen sie dort weder beschäftigt werden noch tätig werden (vgl. § 20a Abs. 3 Sätze 4 und 5 IfSG).

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10.02.2022 – 1 BvR 2649/21

Juristen sehen Argumente für Beschäftigungsverbot für Bestandskräfte

Es existieren aber juristische Ausarbeitungen, die die vorgenannte Differenzierung in Zweifel ziehen. So wird darauf verwiesen, dass eine zeitliche Differenzierung nicht mit dem Wortlaut des Infektionsschutzgesetzes in Einklang zu bringen sei (so Rechtsanwalt Dr. Kai Bonitz und Rechtsreferendarin Shahnaz Schleiff, NZA 2022, 233).

Zudem argumentieren Juristen, dass das Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot die Bestandsmitarbeiter nach Sinn und Zweck erfassen müsse. Denn eine Ausklammerung dieses Personenkreises würde dazu führen, dass sich dieses Verbot nur auf Arbeitsuchende beziehen würde. Bei einem solchen Verständnis hätte die Regelung aber wenig Durchschlagskraft, da es sich hierbei nur um einen sehr kleinen Personenkreis handeln würde (Weigert, Der Anwendungsbereich der neuen Impfpflicht im Gesundheitswesen, NZA 2022, 166).

Juristisch gibt es also (scheinbar) Ansatzpunkte, um das Tätigkeits- und Beschäftigungsverbot auch auf Bestandskräfte anzuwenden.

Rechtliche Einschätzung zur Reichweite des Beschäftigungsverbots

Nach meiner Einschätzung verfangen die Argumente für eine Geltung des Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbots auch für Bestandskräfte nicht. Die Einschätzung des Bundesministeriums, wonach hinsichtlich der Verbotsanordnung zwischen Bestandsmitarbeitern und neuen Beschäftigten zu differenzieren ist, erscheint überzeugend.

Richtig ist, dass § 20a Abs. 3 Infektionsschutzgesetz vom Wortlaut her nicht die Klarheit besitzt, die aufgrund der damit verbundenen Rechtsfolgen wünschenswert gewesen wäre. Auf der anderen Seite kann es nicht allein auf den Wortlaut ankommen; und auch nicht auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.

Die Wortlautauslegung ist nur eine Methode bei der Auslegung von gesetzlichen Bestimmungen. Aus ihr können erste Anhaltspunkte zu der jeweiligen Regelung entnommen werden. Keinesfalls darf die Auslegung von juristischen Bestimmungen aber beim Wortlaut enden. Diese sind vielmehr auch nach Sinn und Zweck, historisch und allen voran nach dem Willen des Gesetzgebers auszulegen.

Dabei zeigt sich folgendes Bild: Der Sinn und Zweck der Regelung wird bei einer angenommenen Differenzierung zwischen Bestandsmitarbeitern und neuen Beschäftigten wohl kaum erreicht werden. Anders ausgedrückt bedeutet das, dass Bestandsmitarbeiter von § 20a Abs. 3 Infektionsschutzgesetz erfasst sein müssen, wenn der Schutz von besonders vulnerablen Personengruppen wirklich verwirklicht werden soll.

Klarer gesetzgeberische Wille – Bestandskräfte nicht erfasst

Auf der anderen Seite steht der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers, das Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot nur auf solche Personen zu beziehen, die erst ab dem 16. März 2022 (erstmals) tätig werden. Darauf deutet alles in der Gesetzesbegründung hin.

Alles in allem kann es nur darauf ankommen, was der Gesetzgeber mit der Regelungen bezwecken wollte. Entscheidend ist damit, dass der Gesetzgeber zwischen Bestandsmitarbeitern und neuen Mitarbeitern eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich eines Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbots erreichen wollte. Über diesen Willen dürfen sich auch juristische Auslegungstechniken nicht hinwegsetzen, auch wenn eine solche Differenzierung vom Sinn und Zweck her gedacht den wirksamen Schutz von gefährdeten Personengruppen in Zweifel zieht.

Gerichte sind dazu angehalten, auch scheinbar unvernünftigte und unzweckmäßige Regelungen des Gesetzgebers umzusetzen. Das gebietet der Grundsatz der Gewaltenteilung.